Stiftungsgeschichte

Stiftungen und Vermächtnisse in Vreden
(Rede von Dr. Hermann Terhalle anlässlich der Überreichung der Stiftungsurkunde, Dezember 2005)
 

Wenn heute mit der Überreichung der Stiftungsurkunde durch den Herrn Regierungspräsidenten die Bürgerstiftung Vreden offiziell aus der Taufe gehoben wird, so ist das ein Beispiel für bürgerschaftliches Engagement in Vreden am Beginn des 21. Jahrhunderts. Das mag auf den ersten Blick als etwas Neues erscheinen, doch schauen wir in die 1200jährige Geschichte unserer Stadt, so finden wir viele Vorbilder.


Leider ist durch verschiedene Stadtbrände das städtische Archiv vollständig vernichtet worden, so dass uns bürgerschaftliches Engagement, welches sich im Früh- und Hochmittelalter vor allem im Bau und der Ausschmückung der Kirchen bemerkbar machte, nicht überliefert ist. Sicher dürfte der Bau der spätromanischen St. Georgskirche schon solchem Engagement entsprochen haben. Fällt er doch in eine Zeit, als - spätestens – 1252 die Kernsiedlung des Pfarrbezirks Vreden mit Stadtrechten ausgestattet war.


Deutlich fassbar wird das Eintreten der Bürger für ihre Stadt in der zweiten Hälfte des 15. und der ersten Hälfte des 16. Jh. Auf die spätromanische Georgskirche folgte am Ende des 15 Jahrhunderts ein spätgotischer Neubau. Doch mit dem Bau der prächtigen Hallenkirche ließen es die Bürger nicht bewenden. Sie statteten das Gotteshaus mit herrlichen Kunstwerken aus, die nur von einer großherzigen Bürgerschaft finanziert werden konnten. Zu verweisen ist auf den gotischen Marienleuchter, der nach 1945 seinen Platz in der Stiftskirche fand, vorher aber in der Pfarrkirche, der Kirche der Bürger, hing. Dieses hervorragende Denkmal heimischen Schmiedehandwerks von 1489 wurde von der Webegilde gestiftet. Ein ebenso kostbares Kunstwerk dieser Epoche und zugleich ein Denkmal bürgerlicher Großzügigkeit ist der spätgotische Altaraufsatz in der Georgskirche, der dank getroffener Vorsichtsmaßnahmen die Zerstörung der Kirche 1945 überstanden hat. Dieser flandrische Schnitzaltar mit doppeltem Flügelpaar ist wohl einer der prächtigsten und glanzvollsten Altarwerke, die um 1520 aus den Antwerpener Werkstätten nach Norddeutschland exportiert wurden.


Neben den Kunstwerken verdienen auch eine Anzahl frommer Stiftungen genannt zu werden, die genauso vom Wohlstand der Bürger zeugen wie die Kunstwerke. Mehrere Vikarien wurden in den Jahrzehnten vor 1500 gestiftet. Dazu zählt die 1471 erfolgte Gründung der Gasthausvikarie. Die Ausführung der Stiftung zog sich wegen des Widerstandes, den das Stift leistete, noch bis 1474 hin. Das Neuartige bei dieser Vikarie war, dass der Rat der Stadt den Vikar bestimmte, der durch den Archidiakon als Vertreter des Bischofs von Münster eingesetzt wurde. Das war das erste Mal, dass in geistlichen Sachen in Vreden die Äbtissin nicht bestimmen bzw. mitbestimmen durfte. Ihre Proteste beim Papst fruchteten nichts, denn Sixtus IV. bekräftigte 1471 ausdrücklich die Einrichtung der so beschriebenen Vikarie.


Die Vikarie war mit dem „Gasthaus“ oder „Spital zum hl. Geist“ verbunden, an das heute noch die Gasthausstraße und der alte Teil des Hamaland-Museums erinnern. Das Gasthaus war entsprechend der Zeit mehr Alters- und Armenhaus als Krankenhaus und wurde wie viele mittelalterliche Hospitäler unter dem Schutz des hl. Geistes gestellt. Das Gasthaus, dessen Stiftung zum bürgerlichen Selbstverständnis jener Zeit gehört, wird urkundlich erstmals 1460 erwähnt.


Die Häuschen für die „Gasthaus Wöhner“ lagen um die Kapelle, die dem hl. Antonius geweiht war, der als Patron gegen ansteckende Krankheiten angerufen wurde. Anfangs müssen sie Platz für die Aufnahme von acht, später von 12 Personen geboten haben. Beim Stadtbrand von 1811 wurde die Gasthauskapelle mit einigen Häusern ein Raub der Flammen. Von den ursprünglichen Wohnungen waren einige stehengeblieben, andere wurden wieder aufgebaut. Sie prägen noch heute das Bild der Gasthausstraße und beherbergen das Hamaland-Museum. Das Gasthaus war von allen sozialen Einrichtungen der Stadt die bedeutendste. Die Erträge flossen aus Renten, aber auch aus verschiedenen Bauernhöfen, Häusern und Ackerflächen in und um Vreden, darunter dem Hofe Früchting in Ellewick, - dessen letzter Inhaber seinen Hof im 20. Jh. Dem Bischof vermachte. Heute befindet sich hier die Behinderteneinrichtung Haus Früchting. Die meisten Immobilien waren dem Gasthaus entweder von Gasthauspersonen bei ihrer Verpfründung übertragen oder von Stiftern vermacht worden. Da die zunehmenden Reparaturkosten an den Häusern die jährlichen Einnahmen sinken ließen, verkaufte man die dem Gasthaus gehörenden Häuser, um Grundstücke anzukaufen oder die Gelder gegen hypothekarische Sicherheit auszuleihen.

 

Eine einschneidende Veränderung vollzog sich 1765, als der Magistrat und die Gilden der Stadt beschlossen, die Überschüsse der Gasthauseinkünfte zur Abtragung der Stadtschulden zu verwenden. Dazu sollte die Versorgung im Spital aufgegeben und die Armen abwechselnd bei verschiedenen Bürgern verpflegt werden. Ähnlich wie bei einer militärischen Einquartierung erhielten die Pfründner, die weiterhin im Gasthaus wohnten, ein Billet, mit dem sie sich bei dem darin bestimmten Bürger zum Essen melden konnten. Nachdem die Schulden der Stadt gegen Ende der 80er Jahre weitgehend getilgt waren, wurde 1789 auf einer Archidiakonalsynode in Vreden dem Magistrat aufgetragen, die Gasthausleute wieder im Spital zu verpflegen. Es hatte übrigens heftige Proteste der Bürger gegeben mit den Argumenten: “Denn es sei weder den Alten zuzumuten, sich mittags und abends von ihren Häuschen oft quer durch die Stadt zu ihren Quartierwirten zu schleppen, und bald bei einem Reichen, bald bei einem Armen, der selbst kaum das Lebensnotwendige besitzt, essen zu müssen, noch den Bürgern, einen Armen, der sich vorher in den gemeinsten Hütten herumtreiben mußte und mit Ungeziefer aller Art besät aus den unreinlichen Hütten hervorkriechet, in ihr Haus und an ihren Tisch zu lassen." 1804 wurde erneut die „Billetierung“ für einige Jahre eingeführt; denn die Stadt bezog wieder aus dem Gasthaus, offensichtlich ihrer „Reservekasse“, erhebliche Einnahmen.

 

Im 16. und 17. Jh. existierten in Vreden weitere soziale Stiftungen, z.B. ein Leprosenhaus. Es wurde nach 1715 verkauft, da es für Leprakranke nicht mehr benötigt wurde, denn diese Krankheit verschwand nach 1650 aus Europa. Der Erlös wurde in Geld angelegt und diente fortan der Unterstützung von Kranken und Armen. Als letzte der älteren Vredener milden Stiftungen entstand 1602 das Waisenhaus, als die Vredener Eheleute Budde und Mensing ihren Besitz testamentarisch der Stadt zur Einrichtung eines Waisenhauses vermachten. Im 18. Jh. wurde das Waisenhaus verkauft und der Erlös dem Waisenfonds zugeführt, woraus Kost und Logis, Kleidung und Medikamente, zuweilen auch die Berufsausbildung der Waisenkinder finanziert wurde. Diesem Fonds gehörten auch Ländereien und Häuser an, die aus weiteren Stiftungen oder aus dem Nachlass der im Waisenhaus verstorbenen Kinder stammten. Ein Großteil des Fonds bildeten Kapitalien, die gegen Zinsen, z.B. an die Stadt, ausgeliehen wurden.

 

Nach 1815, als Vreden preußisch geworden war, ordnete Bürgermeister Rave das Armenwesen neu und fasste die verschiedenen Fonds und Stiftungen zu einem Armenfonds zusammen. Die weitere Entwicklung führte dazu, dass die Grundstücke irgendwann in das Eigentum der Stadt übergingen bzw. als solche nicht mehr getrennt verwaltet wurden. Die Kapitalien des Armenfonds lösten sich spätestens in der Hyperinflation nach 1918 in Lust auf. Heute ist von den Grundstücken und Kapitalien des Armenfonds nicht mehr bekannt.

 

Die oben bereits erwähnten Vikariestiftungen aus dem Ende des 15 Jh. befinden sich mit ihren jeweiligen Immobilien noch heute als „vereinigte Vikarien“ im Besitz der Pfarrei St. Georg. Vom 17. bis zum 19. Jh. erfolgten in Anbindung an die Kirche, nicht mehr an die Stadt, weitere Stiftungen. Ich möchte nur auf die Vikarie St. Crucem et matrem dolorosam – also Kirche Ellewick und Kapelle Marienbrunn – mit ihrem Grundbesitz hinweisen, wozu der Kanoniker Johann Bernhard Abbing um 1700 sein beachtliches Vermögen einbrachte. Im 18. Jh. kam die Houtsche Armenstiftung hinzu und im 19. Jh. die Cohausensche Stiftung für verschämte Hausarme der Stadt Vreden. Es sind Stiftungen, die heute noch bestehen, aber z.T., als es um die Erhaltung des Krankenhauses im letzten Drittel des 20. Jh. ging, Federn lassen mussten.

 

Sie sehen uns heutigen Stiftern sind schon viele Vredenerinnen und Vredener mit gutem Beispiel vorangegangen. Zugleich tut es heute aber auch gut zu wissen, dass sich in Münster der Herr Regierungspräsident und seine Behörde um eine juristisch lupenreine Rechtsgrundlage unserer Stiftung sorgen, damit nicht eines Tages wie bei unseren Vorgängern sich manchen in Luft auflöst oder Federn lassen muss. So könnte man in Abwandlung eines Spruches, der früher in der DDR an öffentlichen Gebäuden prangte sagen: “Aus der Geschichte lernen heißt, es besser machen lernen"